Die Kunst des Loslassens – Meet the Tribe Julia Baumgartner - Kale&Cake

Meet Juli for Kale and Cake

Von Raphaela Baumgartner 

 

Die Kunst des Loslassens ist eine Aufgabe mit der wir mal mehr mal weniger unser ganzes Leben beschäftigt sind. Unser Alltag ist zumeist geprägt von Struktur und Rationalität, wobei wir oft vergessen, dass die Dinge meist nur halb so planbar sind, wie wir das gerne hätten. Loszulassen und sich der einzigen Konstante hinzugeben, die uns das Leben bereit hält, Veränderung, ist bei diesen Voraussetzungen um so schwerer. Ein Gespräch mit einer Frau, die Yoga als Möglichkeit sieht sich dem Fluss des Lebens hinzugeben und zu vertrauen, in die Gesetze des Universums, sowie sich selbst . Einen Anker zu haben, der einen immer wieder zu sich selbst zurück bringt.

„Yoga hat mich einfach geheilt, auf so vielen Ebenen. Ich wollte es einfach nur noch weiter geben, weil es für mich, wenn man es wirklich übt, die größte Magie entfalten kann.“

Corona bedingt treffe ich Julia in dem allseits bekannten Zoom-Meeting, dass sich über das letzte Jahr als beste Freundin und Helferin etabliert hat. Spontan wie eh und je, nehme ich mir vor, Julia die Fragen zu stellen, die sich in unserem Gespräch ergeben, ohne einen konkreten Plan zu haben. Intuitiv greife ich damit, dass auf, was Julia auch ihren Schüler*innen vermitteln will – sich dem hinzugeben was ist.

Die Kunst des Loslassens – Meet the Tribe Julia Baumgartner

 

„Was ich schreibe und das was ich erzähle kommt aus meinen Erfahrungen, aus dem wie ich erlebe und fühle , nur subtiler.“

 

Die Kunst des Loslassens – Meet the Tribe Julia Baumgartner

 

„(…) es braucht Zeit und es ist ein Prozess. Das funktioniert nicht, wenn du einmal die Woche Yoga übst.“

Yoga ist eine Erfahrung. Yoga ist ein Zustand. Und du musst den Zustand erfahren, indem du verschiedene Praktiken übst, sei es Pranayama, Meditation, Asana, Chanting Für jeden ist es was anderes. Jeder fängt wo anders an. Und jeder braucht was anderes. Das ist sehr persönlich. Am besten natürlich von jedem etwas. Aber das ist ein Weg und ein Prozess und es dauert herauszufinden was man braucht.

Ich habe die extremste körperliche Praxis gebraucht, um erst einmal im Klaren zu sein. Mich zu Verbinden, Zu mir zu kommen. Ich hätte mich nicht einfach hinsetzen können. Manche setzen sich hin und brauchen kein Asana. Das ist für jeden anders.

Raphaela: Du würdest also sagen, du bist erst über die körperliche Praxis auch zur Meditation gekommen?

Julia: Komplett. Ich war der un-spirituellste Mensch den du dir vorstellen kannst. Ich war total Kopf gesteuert , super rational, sehr logisch. Strukturiert und auch sehr kontrolliert. Das hat sich sehr geschiftet.

Raphaela: Du unterrichtest dann ausschließlich Yoga? Das ist dein Hauptberuf?

Julia: Ja, ich will nichts anderes machen. Und das ist auch das schönste für mich, das was mir alles gibt, wenn du deine Schüler*innen siehst, wie sie in der Praxis sind. Und du dann auch immer wieder deine selben Schüler*innen hast die kommen und du merkst: ‚Wow, yeah‘ – sie gehen über sich hinaus und überwinden ihre die Grenzen. Wachsen über sich hinaus und etwas öffnet, verändert sich. Denn Yoga ist nicht jedes Mal nur dieses Feel Good. Yoga ist harte Arbeit, auch wenn es oft anders verkauft wird. Denn keiner kann es für dich machen. Es ist dein Weg.

„Du lernst einfach gleichmütiger mit allem umzugehen. Du lernst die Dinge anzunehmen und zu akzeptieren.“

 

Es ist jedes Mal eine neue Erfahrung. Du verbindest deinen Körper und deinen Geist, indem du Atem und Bewegung verbindest. Lernst zuzuhören. Tauchst ein, in diese Einheit. Und dann zu sehen, was passiert, dass ist einfach magisch für mich. Aber es braucht Zeit und es ist wie alles im Leben ein Prozess. Das funktioniert nicht, wenn du einmal die Woche Yoga übst. 

 

Ich möchte meinen Schüler*innen einfach einen Raum geben, in welchem sie neue Erfahrungen für sich sammeln können.

Es ist sehr Situationsabhänig und Gefühlsabhängig wenn ich Yin unterrichte. Yin erdet mich wahnsinnig. Es gibt mir sehr viel Ruhe und Stabilität. Und das kam aber auch durch meine Lehrerin Meghan, weil ich da auf eine mich sehr fesselnde Art an das Yin und das Nidra heran geführt worden bin, als das herkömmlich unterrichtete, „klassische“ Yin, welches viel damit zu tun hat: ‚Ich leg die Leute jetzt in eine Position und lese ein Gedicht vor und lass die dann mit sich alleine.’ Das ist nicht so meins.

Bei Yin finde ich – ich meine es kommt auch wieder auf den Typ an – ich persönlich finde es wahnsinnig schwierig, wenn du keine Yin Praxis hast, die Leute einfach in den Haltungen liegen zu lassen. Das ist eine gute Übung für den Verstand, keine Frage, aber einfach sehr herausfordernd.

Raphaela: Liest du dann Sachen vor? Oder was machst du um diese Räume zu füllen, damit sich deine Schüler*innen nicht allein gelassen fühlen?

Julia: Ich rede über persönliche Erfahrungen, die ich aber natürlich anders verpacke. Also ich erzähle jetzt nicht direkt von meinem Trennungsschmerz oder was auch immer. Aber klar, dass was ich schreibe und das was ich erzähle kommt aus meinen Erfahrungen, aus dem wie ich mich darin Gefühlt habe, nur subtiler.

„Wir sind immer mal wieder weiter weg von uns. Dann sind wir wieder näher an uns dran. Manchmal verlieren wir uns wieder und finden dann wieder zu uns zurück.“

Raphaela: Was würdest du sagen ist deine Intention hinter dem Unterrichten? Was möchtest du deinen Schüler*innen mitgeben?

Julia: Ich möchte meinen Schüler*innen einfach einen Raum geben, in welchem sie neue Erfahrungen für sich sammeln können. Auf die sie dann, in den Moment in welchen sie sie brauchen, immer wieder zurückgreifen können.

Wir sind immer mal wieder weiter weg von uns. Dann sind wir wieder näher an uns dran. Manchmal verlieren wir uns wieder und finden dann wieder zu uns zurück. Ganz Situationsabhängig. Emotionsabhänig. Der Yoga-Weg, der gibt dir einfach, wenn du ihn dann übst und praktizierst, so viel. Du lernst gleichmütiger mit allem umzugehen. Du lernst die Dinge anzunehmen und zu akzeptieren. Aber auch selbstverantwortlich zu handeln. Eigenverantwortung zu übernehmen. Ich kann es gar nicht so richtig beschreiben. Aber es ist ein Gefühl, welches durch die Erfahrung in der Praxis und die Verbindung kommt. Und wenn du dieses Gefühl einmal hattest, ich glaube, dann bist du so gecatcht.

„(…)indem du merkst, dass du nicht alleine bist, bekommst du selber so viel Mitgefühl. Auch weil du lernst dich selber wieder richtig zu spüren, wodurch auch viel mehr Akzeptanz für alles da ist.“

Der Yoga erinnert uns daran, dass alles immer da ist. Das ist der Zustand. Der Zustand in dem nichts fehlt. Purnam. Volle Fülle. Die ist immer in dir. Und wir kriegen in der Praxis immer wieder diese Glimmses von diesem Zustand. Wenn du dann im Savasana bist und du wachst auf und bist so.. (No Words)

Das sind so glimmses. Und ich finde das gibt einfach für und in der materiellen Welt so viel halt und so viel Stabilität, dass du weißt, dass du immer wieder zu diesem Gefühl zurück kommen kannst. Auch wenn es Arbeit ist, aber es ist immer da.Wir vergessen es leider viel zu oft.

Raphaela: Absolut. Ich vergesse es selber viel zu oft.

„Jeder braucht etwas anderes, je nachdem wie weit die oder derjenige auf ihrer/ seiner Reise ist.“

Julia: Aber das will ich noch sagen, weil es nämlich okay ist, dass wir es vergessen. Wir haben alle die gleichen Bedürfnisse. Wir haben alle die gleichen Gefühle, Gedankenmuster. Sind oft gefangen in all unsere Konditionierung. Wir denken nur immer, dass wir in unserer Story alleine sind. Ja, es sind unterschiedliche Geschichten und verschiedene Maßstäbe und man darf es nicht vergleichen, weil die Intensität ist für jede Person trotzdem immer ihre eigene. Höchstpersönlich.

Aber indem du merkst, dass du nicht alleine bist, bekommst du selber so viel Mitgefühl. Auch weil du lernst dich selber wieder richtig zu spüren, wodurch auch viel mehr Akzeptanz da ist. Und das finde ich so schön.

Raphaela: Ja, man lernt wirklich einfach einen richtig schönen, liebevollen Umgang mit sich selber.

Julia: Man lernt den Umgang mit sich selber, aber man lernt auch, dass das ganze Universum, das ganze Leben, das entspringt immer aus dir heraus. Wir sagen immer, wir müssen immer zuerst auf uns selber aufpassen. Tun das für uns. Und das tun wir auch auf eine gewisse Art und Weise. Nur nachhaltiger. Denn in der Yoga Philosophie wird das ja etwas anders dargestellt. Wenn wir üben, dann setzen wir ein Sankalpa, eine Intention, eine Widmung. Wir widmen unser Tun, unser Üben etwas höherem. Nenne es Gott. Nenne es die Natur. Nenne es das Universum Nenne es wie es sich für dich richtig anfühlt. Um dann daraus zu entdecken, dass dieses höhere Bewusstsein, das göttliche in dir selbst ist. Und das ganz selbstlos.

„Das ist ja die zentrale Frage so. Who am I? Und was bin ich?“

Raphaela: Das ist gerade so viel neuer Input für mich. Vielleicht bin ich gerade auch aus diesem Yoga Mindset so ein bisschen rausgekommen.

Julia: Weiß ich gar nicht. Da kommt ja auch immer wieder was neues dazu. Was ist schon ein „Yoga Mindset“? Es ist mehr das Anerkennen, dass sich alles ständig verändert und im Wandel ist. Alle Philosophien, und auch Yoga ist eine Philosophie, sind nicht perfekt und da ist immer so viel Raum für Interpretation. Und deswegen sage ich auch, dass für alles eine Berechtigung da ist. Jeder braucht etwas anderes, je nachdem wie weit die oder derjenige auf ihrer/ seiner Reise ist.

Und es ist fürchterlich beängstigend da tief rein zu gehen, weil du so oft das Gefühl hast, der Boden wird dir unter den Füßen weggezogen. Und wo ist die Realität die ich kenne und meine Identität und wer bin ich überhaupt?

Raphaela: Wie gehst du mit der Frage nach deiner Identität um? Würdest du sagen, du bist bereits an dem Punkt, dass du sie in etwas Höherem erkennst?

Julia: Ich glaube das ist nie ganz da. Es ist immer ein Falling in und ein Falling Out. Bei mir ist es jedenfalls so. Und jedes Mal wenn du denkst: ‚Ich habs‘ fällt es dir doppelt um die Ohren. Aber das ist auch das schöne, dass es nie aufhört. Du entdeckst immer etwas neues. Auch in der Asana Praxis. Da ist kein Ende. Es geht immer nur um den Weg.

„Wir kämpfen so sehr gegen uns selber, die ganze Zeit. Weil wir denken, wir müssen und es ist notwendig. Aber ist es das?“

Raphaela: Aber findest du das nicht manchmal frustrierend, dass es einfach immer weiter geht?

Julia: Klar – diese Momente kenne ich sehr gut! Aber ist das nicht der schönste Gedanke, dass es einfach immer weiter geht, egal wie kacke es auch gerade ist? Daran versuche ich mich dann immer immer zu erinnern.

Raphaela: Ja, aber ich sehne mich manchmal nach diesem Ankommen, etwas was einfach Stabil ist und für immer hält.

Vielleicht hält es für immer, wenn du besonders talentiert bist, so steht es zumindestens in den Schriften. (Lacht) Ich glaube die Dinge wiederholen sich so lange, bis sie sich auflösen. Bis wir gelernt haben was wir daraus lernen sollen. Und entweder ‚we surrender into it‘ und wir lassen uns darauf ein und wir gehen durch diesen scheiß schmerz und es ist kacke und es ist nervig und es ist zum kotzen und man hat keinen Bock drauf. Oder man geht wieder zurück in die Kontrolle und die Struktur und das was man kennt und das was einem vermeintlichen halt gibt. Aber ich glaube es wird einem so auch immer und immer wieder um die Ohren fliegen. Aber auch das ist ok.

Und klar. es geht immer darum Eigenverantwortung zu übernehmen. Aber es geht auch darum mal loszulassen und das was ist anzuschauen und zu akzeptieren. Und nicht dagegen anzukämpfen.Wir kämpfen so sehr gegen uns selber, die ganze Zeit. Weil wir denken, wir müssen… immer weiter… immer mehr… und es ist notwendig. Aber ist es das? Und wo ist dann das ankommen?

„Es geht immer nur um den Weg.“

Und warum ist es das? Wegen unserer Vorstellung. Und warum unsere Vorstellung? Weil wir uns damit identifizieren. Das ist auch ein wichtiger Teil. Das du dir Zeit gibst in dem Prozess. Wir wollen dann immer alles jetzt, direkt und schnell und am besten gestern… Oder wir befinden uns in der Warteschleife…Nein, Nein. Man muss sich auch manchmal Zeit geben. Und einfach nur sein…. Haha, wenn das nur so einfach wäre.

Ich versuche wirklich immer zu sehen, was es gutes am Ende für meine Entwicklung hat. Oder auch für das Unterrichten oder das Leben. Weil am Ende können wir es vielleicht ein Stückweit beeinflussen immer, aber ist es dann richtig für uns wenn wir so kämpfen? Weiß ich nicht. Und das muss jeder halt für sich entscheiden. Das ist höchstpersönlich. Eine Entscheidung.

„Wir haben es nie in der Hand. Wir denken es nur.“

Wir bestehen aus so vielen Schichten. Und je tiefer wir gehen, desto mehr kommt hervor, wandert an die Oberfläche. Auch wenn wir denken, wir wissen schon was kommt, es wird immer mehr und es kommt immer noch mehr. ABER. Wenn es überwunden ist. Wenn du durch diesen Widerstand durch bist. Durch diese Situation. Und auch wenn sie in diesem Moment unerträglich und nicht auszuhalten scheint. Danach entsteht so viel und da passiert so viel Magie. Das ist auch ein Aspekt des Yogas, wenn du wirklich so tief da rein gehst, du brauchst wirklich eine Lehrerin, einen Lehrer. Du musst die Arbeit selbst tun, aber jemand der dich begleitet ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Yoga kann bereichert dein Leben ungemein, er kann dein Leben aber auch ganz schön auf den Kopf stellen und wenn du da alleine bist…. Puh dann gute Nacht. (Lacht)

Raphaela: Ich glaube, da können sich alle glücklich schätzen die dich als Lehrerin haben. Man fühlt sich auf jeden Fall sehr aufgehoben bei dir. Also ich fühle mich gerade sehr aufgehoben.

Julia: (Lacht) Und das obwohl du noch nie Yoga bei mir geübt hast.

Raphaela: Das stimmt. Aber alleine im Gespräch, hat mir das gerade sehr sehr gut getan. Einfach auch wieder daran erinnert zu werden, dass eigentlich die einzige Konstante im Leben Veränderung ist und auch wenn es manchmal schwer ist, es wird immer vorbei gehen, weil es nichts statisches gibt.

Julia: Wie denn? Und auch jetzt während Corona. Ist alles wirklich so anders? Wir haben es nie in der Hand. Wir denken es nur.